Kenia: Neue Führung für ein tief gespaltenes Land

Jubelnde Kenyatta-Anhänger/innen bei der Amtseinführungszeremonie am 9. April in Nairobi.
Photo: GCIS/GovernmentZA, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-ND 2.0

10. April 2013
Katrin Seidel
Die Straßen der Hauptstadt Nairobi waren menschenleer, als sich am 04. März landesweit kenianische Bürgerinnen und Bürger in kilometerlange Schlangen einreihten, um neben einem neuen Präsidenten fünf weitere Vertreter/innen auf staatlicher und sub-staatlicher Ebene (counties) zu wählen. Die Folgen der Gewaltexzesse nach den letzten Präsidentschaftswahlen in 2007 hatten dunkle Schatten vorausgeworfen. Fast alle Prognosen warnten vor einer Wiederholung der Gewalt. Das mussten sie auch. Kaum jemand hatte in 2007 das Ausmaß der Unruhen vorausgesehen, bei denen über eintausend Menschen starben, mehr als 180.000 verletzt und fast eine Viertel Million vertrieben wurden. Das Urteil über die anschließenden Reformschritte und Versöhnungsversuche war einhellig: die strukturellen Gründe für die Verteilungsungerechtigkeit, die seit Jahrzenten die kenianische Gesellschaft plagt, blieben davon unberührt.

Seit 2007 waren mit Teuerungen, steigenden Jugendarbeitslosigkeit und nicht zuletzt der Komplexität der Wahlen selber neue Gründe für gewalttätige Ausschreitungen hinzugekommen. Diese nüchterne Einschätzung stand einem ungebrochenen Optimismus gegenüber: Die Menschen in Kenia, so hieß es, hätten aus den grausamen Bildern der Gewalt gelernt. Ganz pragmatisch bedeutete das für viele aufs Beste zu hoffen und sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Wer konnte blieb daheim, brachte seine Familie aus Nairobi aufs sichere Land und mied öffentliche Orte. Ausländer strömten in einem kollektiven Exodus bereits vor den Wahlen aus dem Land.

Doch blieb es widererwartend weitgehend friedlich. Selbst als sich die Bekanntgabe der Ergebnisse zu einer Geduldsprobe entwickelte, war die Stimmung im Land angespannt aber ruhig.

Blackbox Stimmenzählung

Um Vorwürfen möglicher Wahlfälschung vorzubeugen, hatte die Unabhängige Wahl- und Grenzkommission (IEBC) Geräte zur elektronischen Wählerregistrierung und -identifikation teuer eingekauft. Vorläufige Ergebnisse aus den über 30.000 Wahllokalen sollten zudem zeitnah per SMS direkt ans nationale Wahlzentrum in Nairobi geschickt werden. Das System brach am zweiten Tag zusammen. Was folgte war ein medialer Blackout. Die kenianischen Medien waren per Memorandum gezwungen, nur offizielle Stellungnahmen der IEBC zu verbreiten und diese wurden immer spärlicher. Fünf Tage nach den Wahlen verkündete die IEBC dann den Sieger: Uhuru Kenyatta wurde mit 50,068 Prozent im ersten Wahlgang als neuer Präsident Kenias gewählt. Mit nur achttausend Stimmen nahm er die verfassungsrechtliche Hürde von 50 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Die Ankündigung war ein Schlag ins Gesicht seines Rivalen Raila Odinga. Odinga hat bereits zwei Wahlniederlagen erfahren. Offenkundige Wahlfälschungen hatten ihn zuletzt 2007 um den Sieg gebracht und Kenia ins Chaos gestürzt. Anders als in 2007/08 wurden die Schlachten dieses Mal statt auf der Straße in den Räumen des Obersten Gerichtshofs ausgetragen. Dank umfangreicher Reformen hatte die Judikative in Kenia in den letzten Jahren an Vertrauen gewonnen. Das Urteil erfuhren die Kenianer am Osterwochenende. Der Sieg Uhuru Kenyattas wurde vom Obersten Gerichtshof bestätigt, die Wahlen seien frei, fair, transparent und glaubwürdig verlaufen. Der Richtspruch ersparte Kenia eine Neuwahl, birgt jedoch die Gefahr, dass die bestehenden Zweifel am Urteil des Gerichts, seine hart erarbeitete Autorität und Glaubwürdigkeit untergraben könnten.

Ein gespaltenes Land

Der Schock sitzt tief. Raila Odinga hat das Urteil des Obersten Gerichtshofs akzeptiert und seine Anhänger/innen aufgerufen, Ruhe zu bewahren. Bei der Amtseinführung Kenyattas war er selbst nicht im Land. Seine politische Zukunft ist unklar. Es fällt ihm und den Mitgliedern seiner politischen Allianz offenkundig schwer, die Rolle als Oppositionskraft zu akzeptieren. Obwohl er ein starkes Mandat dafür hätte: Immerhin haben 43 Prozent der Wähler für ihn gestimmt.

Trotz Einheitsrhetorik spielte Ethnizität die wichtigste Rolle in der Mobilisierung der Wähler. Ein Blick auf die Karte Kenias bestätigt: Die Entscheidung an der Urne ist nahezu deckungsgleich mit der Ethnie der Wähler – abgesehen von wenigen hoffnungsgebenden Ausnahmen. Diese Voraussagbarkeit bestimmte im Vorfeld der Wahlen nicht nur das Gerangel um die Zusammensetzung politischer Allianzen. Es gab auch weiteren Präsidentschaftskandidaten kaum eine Chance auf Erfolg. Alle der sechs Kandidaten, die neben Kenyatta und Odinga angetreten waren, erreichten gemeinsam weniger als sechs Prozent der Stimmen. Die erste, die sich dem ethnischen Diktat entzog und ihre Kandidatur ankündigte, war Martha Karua. Nach unermüdlichen zwei Jahren auf dem Wahlkampfpfad, erhielt sie 0,35 Prozent! der Stimmen.

Fluch oder Segen der Quoten

Der Wahlausgang war insgesamt desillusionierend für Genderaktivist/innen in Kenia. Von den 1450 Kandidatinnen wurden lediglich 80 gewählt. Siebenundvierzig Sitze im nationalen Parlament waren für Frauen reserviert. Nur 19 Frauen schafften den Einzug im Wettbewerb mit ihren männlichen Kollegen. Keine Frau wurde als Senatorin oder Gouverneurin gewählt. Da die Verfassung für die county assemblies vorschreibt, dass nicht mehr als zwei Drittel eines Geschlechts dort vertreten sein dürfen, werden die lokalen Parlamente nun mit nominierten Frauen „aufgefüllt“. Die insgesamt 600 Nominierungen bedeuten einen hohen Preis für Gleichstellungspolitik. Frauen wurden im Vorfeld massiv entmutigt, sich der Wahl zu stellen und mit dem Ausblick einer Nominierung vertröstet.

Der ethnischen Zahlenlogik folgend, sicherte Kenyattas Entscheidung für William Ruto als Mitkandidat und Stellvertreter der siegreichen „Jubilee Coalition“ einen Großteil der Stimmen der „Big Five“ – Kenias größter ethnischer Gruppen. Das erklärte Ziel der Koalition war der Sieg über einen lange Zeit sehr populären Raila Odinga. Mit dem Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) hatten Kenyatta und Ruto ein weiteres gemeinsames Interesse. Das Votum der kenianischen Wählerschaft sollte sie zumindest moralisch von der Anklage der indirekten Mittäterschaft bei den Gewaltakten nach den Wahlen in 2007 freisprechen.

Protestwahl?

Beobachter sehen den Ausgang der Wahlen daher auch als Protest der kenianischen Bevölkerung gegen Fremdbestimmung und den Einfluss vor allem vermeintlicher westlicher Machtinteressen. Sicherlich sind die einzelnen Faktoren schwer auseinanderzuhalten. Die Entwicklung des Meinungsbildes zum IStGH seit der Ankündigung der Verfahren zeigt jedoch, dass es sich weniger um eine generelle Kritik an einseitiger Gerechtigkeit oder externem Einfluss handelt. Vielmehr profitierte die „UhuRuto“ Koalition, wie sie sich im Wahlkampf präsentierte, von einer geschickten Verknüpfung lokaler und globaler Agenden. Mit der Dämonisierung Raila Odingas als westliche Marionette, die den Strafgerichtshof benutzt, um sich seiner politischen Rivalen zu entledigen, fielen die anfänglich außergewöhnlich hohen  Zustimmungsraten zum IStGH rapide. Es gelang Kenyatta und Ruto im Laufe der Wahlkampagnen sich als Helden ihrer jeweiligen Volksgruppe darzustellen, die für ihre Versöhnungsarbeit eher belohnt als bestraft werden sollten. Die Ankündigungen durch westliche Diplomaten, die Wahl  Kenyattas könne Sanktionen nach sich ziehen, waren daher nicht nur reichlich ungeschickt, sondern Öl auf das Feuer einer für Kenia eher untypischen neo-imperialistischen Debatte.

Die diplomatischen Beziehungen werden sich schnell normalisieren. Kenia ist vor allem in der Region zu wichtig, um sich lange mit Prinzipien und Grundsatzfragen aufzuhalten. Die Ankündigung Kenyattas und Rutos, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten, wird diesen Prozess noch beschleunigen. In Kenia wird allgemein erwartet, dass das Verfahren am Strafgerichtshof in sich zusammenfällt. Die Anklage gegen einen der Mitangeklagten Kenyattas ist bereits zurückgezogen worden. Zeugen seien entweder getötet, bestochen oder eingeschüchtert worden, behauptete die Anklägerin des IStGH. Der Druck auf weitere Zeugen wird durch die Wahl Kenyattas zum Präsidenten und Rutos zum Vizepräsidenten noch steigen.

Kenyatta – die Zweite

Die wichtigste Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, die tiefe Spaltung Kenias zu überwinden. Die Wahlen haben vor allem die ethnische Kluft weiter verstärkt. Wut und Hass entladen sich ungebremst in sozialen Medien und offenbaren eine Gruppe, die bisher als eher progressiv wahrgenommen wurde: die junge urbane Mittelschicht.

Kenyatta und Ruto haben in ihrem Wahlkampf den Aufbruch in ein digitales Zeitalter versprochen. Kenias jugendlicher Präsident genießt damit die Sympathien vor allem der jüngeren Generation. Das wäre seine Chance, für sich Geschichte zu schreiben.

Es ist jedoch fraglich, ob Uhuru Kenyatta tatsächlich der Präsident aller Kenianer werden wird. Als Sprössling der Kenyattas, einer der reichsten Familien Afrikas, steht er für den Status quo. Persönlich hatte er die neue progressive Verfassung Kenias lange abgelehnt. Es ist daher zu erwarten, dass der politische Reformprozess nur schleppend voran gehen wird. Dennoch sind mit der Wahl der Gouverneure und der County Assemblies die Fundamente einer neuen Regierungsstruktur gelegt, die die bisher absolute Macht des Zentralstaats in Frage stellen wird. 

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Katrin Seidel ist Leiterin unseres Büros Ostafrika / Horn von Afrika in Nairobi.

Links:

  • Einen Kommentar unserer Afrika-Referentin Kirsten Maas-Albert zur Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Uhuru Kenyatta und die Konsequenzen für die internationalen Beziehungen finden Sie hier.